Der Besuch der Zapatistas und von Vertreter*innen des Nationalen Indigenen Kongresses (CNI) vergangenen Sonntag lockt viele Menschen ins Lobau-Protestcamp. Den ganzen sonnigen Vor- und Nachmittag lang sitzen wir gemeinsam auf der Wiese am Camp und tauschen uns über unsere lokalen Widerstandskämpfe aus. Für uns am Camp ist der Besuch ein hervorragender Anlass, um von den compañeras/-os aus Chiapas mehr zu lernen darüber, wie effektive Selbstorganisierung aussieht und wie Kämpfen eine langfristige Perspektive ermöglicht wird.
Zu Beginn des Programmes stellen wir den Gästen aus Mexiko das Protestcamp vor, durch das nun bereits seit über einem Monat der Bau der Stadtautobahn verhindert wird. Im lokalen Kontext steht das Megaprojekt sinnbildlich für die antisoziale Wiener Verkehrspolitik, die die Menschen auf Jahrzehnte ans Auto fesselt. Im globalen Kontext repräsentieren die geplante Lobau- und Stadtautobahn das kapitalistische System Auto, das Profite vor Menschen stellt und als einer von Österreichs klimaschädlichsten Sektoren die Klimakrise befeuert. Zerstörerische Infrastrukturprojekte sind den Gästen wohlbekannt. Einige der Delegierten des CNI berichten von ihrem jahrelangen Kampf gegen extraktivistische Vorhaben transnationaler Konzerne und dem aktuellen Widerstand gegen das nationale Prestige-Projekt „Tren Maya“: Eine geplante 1.500 Kilometer lange, milliardenschwere Zugstrecke mitten durch indigene Gebiete und Gemeinden, die ohne Beteiligung der lokalen Bevölkerung beschlossen wurde und den fragwürdigen „Ökotourismus“ im Süden Mexikos antreiben soll. Immer wieder prangern die compañeras dabei die Zerstörung von Madre Tierra, Mutter Erde, an, die im Kapitalismus zu einer Quelle des Profits und neben dem Menschen ausgebeutet wird.
Nach der Campführung nehmen sich die zapatistischen Delegierten Zeit, über die Geschichte ihres jahrzehntelangen Widerstandes zu erzählen. Seit nunmehr 27 Jahren sind über 1000 Dörfer in der südmexikanischen Region Chiapas autonom regiert, nachdem die Nationale Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) 1994 die Gebiete aus den Händen von Großgrundbesitzern und der mexikanischen Einparteien-Diktatur zurückerobert hat. Die anwesenden Zapatistas erzählen von dem Leben ihrer Großväter in Gefangenheit, die als Lohnsklaven in den fincas von Großgrundbesitzern ausgebeutet wurden, und ihrer Großmütter, die als Bestrafung vor den Augen ihrer Männer vergewaltigt wurden. Tierra y libertad, Land und Freiheit, wurde deshalb das zentrale Motiv des zapatistischen Befreiungskampfes, in Anlehnung an den mexikanischen Freiheitskämpfer Emiliano Zapata in der mexikanischen Revolution von 1910.
Heute verwalten die Zapatistas ihr Land selbst: Gesundheit, Bildung, Handel, Justiz, Kommunikation – alle Bereiche, die sonst von staatlicher Hand verwaltet werden, organisieren die Zapatistas nun in basisdemokratischen Kollektiven. Seit jeher nehmen die Frauen dabei eine bedeutende Rolle in der zapatistischen Bewegung ein und setzen sich für die Überwindung des Patriarchats ein. Bis heute müssen die Zapatistas für ihre Rechte kämpfen, denn der mexikanische Staat versucht immer wieder, durch gezielte Desinformationskampagnen, eigenes Militär und beauftragte Paramilitärs das zapatistische Projekt eines Zusammenlebens jenseits der Ausbeutung von Mensch und Natur zu zerstören. Das Erfolgskonzept der Zapatistas? „Rebelión y Rebeldía“, ständige Rebellion und Widerständigkeit, ruft uns eine zapatistische Delegierte zu und wünscht uns, dass wir in unserem Widerstand gegen die Lobau- und die Stadtautobahn zusammenhalten.
Abschließender Programmpunkt ist eine Podiumsdiskussion mit Sprecher*innen der vier am Camp beteiligten Organisationen – System Change, not Climate Change!, Fridays for Future, dem Jugendrat und Extinction Rebellion –, den zapatistischen Delegierten und Marichuy vom CNI, erste indigene Präsidentschaftskandidatin Mexikos im Jahr 2018. Ulrich Brand von der Uni Wien moderiert die Diskussion entlang von vier Themenblöcken: Erfolgsfaktoren im Kampf gegen Megaprojekte, Rolle der Medien, Umgang mit Staat und Parteien und Internationalismus. Von Marichuy lernen wir, wie zentral gute Selbstorganisierung im Kampf gegen Megaprojekte ist und wie wichtig es ist, eine breite Bewegung aufzubauen und sich nicht spalten zu lassen. Aber auch der Kampf um die öffentliche Meinung spielt eine wichtige Rolle. Mattis von System Change, not Climate Change! zeigt den Spagat im Umgang mit den Medien auf: Einerseits sind wir auf sie angewiesen, um in gesellschaftliche Debatten zu intervenieren, andererseits reflektiert die Medienlandschaft die derzeitigen Herrschaftsverhältnisse. Das ist den Zapatistas nicht unbekannt, die immer wieder von den mexikanischen Massenmedien diskreditiert werden. Bei der Frage, welche Rolle Staat und Parteien im Kampf gegen die Klimakrise zukommt, gehen die Meinungen der Sprecher*innen vom Camp auseinander. Allerdings sind sich alle einig, dass es gesellschaftlichen Druck von unten braucht, um die politischen Entscheidungsträger*innen anzutreiben. Noch einmal inspirieren die Berichte der Zapatistas, deren Delegierte im Rat der Guten Regierung basisdemokratisch gewählt werden und dem Prinzip des „gehorchenden Befehlens“ folgen (mandar obedeciendo). Abschließendes Wort hat eine compañera der Zapatistas. Auf die Frage hin, was sie seit der Ankunft in Österreich am erstaunlichsten fand, antwortet sie, dass sie überrascht war, wie gepflegt die Natur hier im Vergleich zu ihrer Heimat ist und wie kleinstrukturiert die Landwirtschaft. Gleichzeitig sieht sie die Ursache davon in der Externalisierung von ökologischen Kosten, der von Ulrich Brand in seinem Buch Imperiale Lebensweise beschriebenen Zerstörung andernorts, da es europäische Konzerne sind, die ihre Gemeinden in Chiapas bedrohen.
Wir bleiben zurück voller Fragen. Wie lässt sich eine so breite Bewegung wie die Zapatistas aufbauen? Wie begegnen wir den ständigen Herausforderungen der Selbstorganisierung am Camp? Wie lässt sich langfristig eine antikapitalistische Praxis im Lobau-Protestcamp verankern und die Lobau- und Stadtautobahn verhindern? Aber auch hier können wir von den Zapatistas lernen, deren undogmatisches Politikverständnis durch einen ihrer Leitsprüche geprägt ist: Fragend schreiten wir voran.
Ihr habt Lust, die Zapatistas in Wien zu treffen? Auf der Website www.zapalotta.org findet ihr alle Informationen zu ihrer Reise.